Madame Tricot

Kunstvoll verstrickt zwischen Leben und Tod

Seit mehr als 40 Jahren wohnt Dominique Kaehler Schweizer, die man in der Welt der Kunst als Madame Tricot kennt, in Wil im Kanton St.Gallen. Mit ihrer Strickkunst ist sie weit über die Grenzen der Schweiz hinaus bekannt geworden. Was daran liegt, dass sie keine lustigen Pudelmützen anfertigt, sondern Fleisch, Wurst oder Schimmelkäse aus Wolle.

Wenn Madame Tricot einen konventionellen Pullover strickt, dann zieht sie den dem Jesus Christus an. «Ich will mit meiner Kunst aufrütteln, einen Denkanstoss geben, dabei aber nicht verletzen.» Mit einem Lächeln fügt sie hinzu: «Eine alte Grossmutter die strickt kann ja gar nicht gefährlich sein.»

Stricken und Essen habe sie schon als Kind geliebt, gesteht jene laut eigener Aussage «alte Grossmutter», die pure Energie und Lebensfreude in sich zu vereinen scheint. Wenn sie von Ihrer Kunst spricht, erhellt ein strahlendes Leuchten ihre Augen. Dennoch hat Dominique Kaehler Schweizer ihren künstlerischen Blick auf Themen wie Tod und Vergänglichkeit gerichtet. Deshalb strickt sie gerne verderbliche Dinge, bei denen der Verwesungsprozess bereits begonnen hat. Aber wenn sie aus Wolle sind, verlängert sich ihr Leben wie von Zauberhand, weil Wolle eben viel länger hält.

Madame Tricot

«I knit therefore I am, I am therefore I knit. Le tricot c’est Zen!»

Madame Tricot liebt Kitsch und Humor

Kunst und Heilkunst

Madame Tricot ist in Paris in einer Designer-Familie aufgewachsen. Seit ihrer Kindheit begeisterte sie sich für die Themen Kunst und Naturwissenschaft. Deshalb studierte sie Medizin, besuchte parallel dazu aber auch die Ecole du Louvre, um Kunstgeschichte zu lernen. Nach ihrer Hochzeit zog sie vor mehr als 40 Jahren in der Schweiz, danach nach Wil im Kanton St.Gallen. Als Dr. Dominique Kaehler Schweizer praktizierter sie mehrere Jahrzehnte als Psychiaterin und Ärztin für Naturheilkunde.

Zum Ausgleich war sie als Madame Tricot in ihrer Freizeit künstlerisch tätig und hat vor allem gestrickt. Sehr früh begann sie damit, strickend die dritte Dimension zu erreichen. Wie man Würste oder Käse aus Wolle in 3D macht, hat sich die Künstlerin selbst beigebracht. Zuweilen muss sie bei der Produktion eines neuen Kunstwerkes 10 Nadeln und zig Wollfäden gleichzeitig im Griff haben. Dennoch entspannt sie sich dabei. «Stricken macht mich glücklich. Es ist wie eine Meditation, meine eigenwillige Therapie, um die Schwere in Leichtigkeit zu verwandeln.»

Bei Madame Tricot stehen die Nadeln niemals still. Bis heute nützt sie jede Gelegenheit, um kreativ Masche an Masche zu reihen. «Ich stricke eigentlich überall», berichtet sie. «Im Zug, im Restaurant während ich auf das Essen warte und in der Zeit, in der ich bei den Enkelkindern bin.»

Madame Tricot ist eine Grenzgängerin, die immer versucht, den Rahmen des Konventionellen zu erweitern. Neben Kitsch und Humor liebt sie das Abgründige, Zweideutige, das lustvolle Überschreiten von Grenzen. Das Nette, Liebliche und Brave ist ihr zu langweilig. «Eines meiner Hauptthemen ist seit jeher die Grenze zwischen Leben und Tod». Deshalb strickt sie gerne das Verderbliche. «Der Verwesungsprozess erzählt sehr viel über das Leben.»

Metzgerei aus Wolle

Und was ist in dieser Welt schon vergänglicher als der Weg allen Fleisches? Fleisch bildete daher die Grundlage für ein Projekt, mit dem die Künstlerin grosse Bekanntheit erreichte. Madame Tricot wuchs in Montmartre, dem Künstlerviertel von Paris, auf. Als Hommage an die dort ansässigen Boucherien strickte sie eine ganze Metzgerei. 2017 war dieses Projekt Teil der Ausstellung «Was isst die Schweiz», die im Landesmuseum stattfand. Die Arbeiten von Madame Tricot werden in vielen internationalen Museen ausgestellt. Im Buch «Delicatessen» gewährt die Kunst-Strickerin Einblicke in ihr mannigfaltiges Schaffen.

Aktuell gibt’s religiöse und explosive Kunst

Neueren Datums sind sakrale Kunstwerke, die unter dem Namen «Duo Schweizer Kunz» gemeinsam mit dem gelernten Kirchenrestaurator und Künstler Sander Kunz entstehen. «Ich finde Jesus am Kreuz ist eine fürchterliche Darstellung. Er ist doch auferstanden und sollte daher nicht mehr da oben hängen», erklärt sie die Beweggründe für ihre neuesten Werke. Deshalb nahm sie den Jesus kurzerhand vom Kreuz. Sie strickte Jesus einen Pulli mit dazu passender Mütze und schickte ihn auf die fridays for future Demos. Gemeinsam mit dem Originalplakat von Greta Thunberg hat sie das Bild auf Instagram gepostet. Das kommentiert die Künstlerin mit einem Lächeln. «Ich hoffe Greta hat einen Sinn für Kunst.»

Neu im vielfältigen Portfolio der Woll-Künstlerin sind Kästen, die sich unkonventionell und kritisch mit religiösen Darstellungen auseinandersetzen. Unter dem Titel: «Maria und der Schein trügt» wird eine selbstbewusste Madonna dargestellt. Eine starke Frau, die Kitsch und Waffen liebt. Basis des Kastens ist eine alte Munitionskiste der Schweizer Armee. «Ich habe eine neue Interpretation der Heiligen Maria gemacht und sie als vollwertige und gleichberechtigte Frau dargestellt».

Ein weiterer Neuzugang ist der universale Weihnachtskaten. Im Inneren, geschützt von einer Glasscheibe, sind ein Engel und ein Hirte zu sehen. Beide Figuren warten auf den 24. Dezember, der Tag, der im keltischen und christlichen Glauben von hoher Bedeutung war und ist. Was nahe liegt, entstand doch Weihnachten auf der Grundlage des keltischen Festes am Tag der Wintersonnen-Wende. «Aus dem keltischen Sonnenkind wurde die christliche Krippe. Das stelle ich dar», erklärt die Künstlerin.

Es gibt noch viele Ideen und Projekte, an denen sie mit Freude ein bisschen herumstricken möchte. Und solange die Schafe auf den Weiden ihr Futter finden und es Menschen gibt, die aus dem Fell der Tiere Wolle herstellen, wird Madame Tricot der Stoff für ihre Träume nicht ausgehen.

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