Meine Zeitreise zum Ursprung von St.Gallen

Ein Erfahrungsbericht von Gion Jäggi

In Zusammenarbeit mit der Stiftung MyHandicap (EnableMe) haben wir Gion Jäggi auf seinem Tagesausflug nach St.Gallen begleitet. Dieser Erfahrungsbericht zeigt, wie Gion mit seinem Rollstuhl den Besuch des Stiftsbezirks und bei der Drei Weieren erlebt.

Mit dem Rollstuhl unterwegs im Stiftsbezirk und dem Naherholungsgebiet Drei Weieren

Zugegeben, bei 30 Grad und strahlendem Sonnenschein kämen mir auch andere Ideen, als den Stiftsbezirk zu besichtigen. Aber da mein letzter Besuch während der Schulzeit war, bin ich neugierig, was sich alles verändert hat. Und ausserdem wird es bestimmt weniger Besucherinnen und Besucher haben als bei Regenwetter und ich komme mit meinem Rollstuhl besser durch. Dafür wollte ich mich anschliessend mit einem Glacé in den Drei Weieren belohnen. Der Plan ist aufgegangen – aber dazu später mehr.

Eintauchen in die Geschichte des Klosters St.Gallen

Der Stiftsbezirk ist vom Bahnhof St.Gallen aus sehr gut mit dem Bus erreichbar. Besonders empfehlenswert ist die Buslinie 11, in Richtung Abacus-Platz. Die Haltestelle «Stiftsbezirk» befindet sich in unmittelbarer Nähe. Wer mit dem Auto anreisen muss, dem empfehle ich das Parkhaus Einstein. Auf Fastfinder wird ausserdem ein Behindertenparkplatz unmittelbar vor der Kirche St.Laurenzen angezeigt.

UNESCO Weltkulturerbe

Die von der UNESCO geschützten Kultur- und Naturerbe zählen zu den unschätzbaren und unersetzlichen Gütern der Menschheit. In der Schweiz umfasst das Welterbe 13 Stätten. So zum Beispiel die Altstadt von Bern, das Benediktinerinnen-Kloster St.Johann in Müstair oder eben der Stiftsbezirk St.Gallen. Die kurze Fahrt über das Kopfsteinpflaster rüttelt mich wach. Um 10 Uhr warten nur wenige Touristinnen und Touristen auf Einlass in die Stiftsbibliothek. Die schwere Eingangstür steht zum Glück offen, ich hätte sie vermutlich nur mit Mühe allein aufbekommen. Sollte sie einmal geschlossen sein, genügt ein Anruf unter +41 71 227 34 16 und man wird eingelassen, wird mir später versichert.

Mit dem Lift geht es hinauf zum Ticketshop. Wer wie ich glaubt, der Geschichtsunterricht sei mit dem Besuch der Stiftsbibliothek abgehakt, der irrt. Denn hier erhalte ich ein Kombiticket für die Stiftsbibliothek, den Gewölbekeller und den Ausstellungssaal. Ich bin gespannt, was mich alles erwartet. Sowohl im Ticketshop als auch in der Tourist Information St.Gallen können Besucherinnen und Besucher ausserdem für 5 Franken einen Audioguide in verschiedenen Sprachen (Deutsch, Englisch, Französisch und Italienisch) beziehen. Für Menschen mit einer Sehbehinderung würde ich das unbedingt empfehlen, da die Beschreibungen auf den Infotafeln etwas klein sind und sich manchmal in den Glasvitrinen spiegeln. Da ich Brillenträger bin, war er deshalb auch für mich eine grosse Hilfe.


Jetzt kann es losgehen! Oder doch nicht? Ich werde darauf aufmerksam gemacht, meinen Rucksack doch bitte in einem Schliessfach zu verstauen. Leichter gesagt als getan, denn er ist hinten an meinem Rollstuhl befestigt. Doch schon kommt mir eine Museumsmitarbeiterin zu Hilfe. In der Zwischenzeit wurde auch bereits die Rampe aufgestellt, so dass ich ohne Probleme in die Stiftsbibliothek rollen kann. Schon der Eingang macht mich ehrfürchtig. Es riecht nach alten Büchern und Holz. Der uralte Raum und die wunderschöne Deckenbemalung nehmen mich sofort in ihren Bann. Erst jetzt wird mir so richtig bewusst, welch bedeutendes kulturelles Erbe hier aufbewahrt wird.


Ob ich denn wüsste, wie viele Bücher hier seien, fragt mich die Museumsmitarbeiterin. Vielleicht 20‘000? Tatsächlich, ich komme der Zahl nahe, es sind 30‘000 Bücher! Einzelne Exemplare sind in den Vitrinen ausgestellt – darunter auch das älteste der Handschriftensammlung auf Pergament, geschrieben im Jahr 790. Wow! Mal sehen, ob sich in über 1’000 Jahren noch jemand an mein Gekritzel erinnert. Wohl eher nicht…

auf Film festgehalten

Erfahrungsbericht

Barrierefreier Stiftsbezirk

Sämtliche Ausstellungen sind barrierefrei zugänglich. Am Eingang zur Stiftsbibliothek wird von den Museumsmitarbeitenden eine Rampe aufgestellt. Sämtliche Toiletten im Stiftsbezirk sind barrierefrei zugänglich. Sie befinden sich im Gebäude der Stiftsbibliothek auf der Höhe des Ticketshops sowie beim Eingang zum Ausstellungssaal. Eine weitere Toilette befindet sich im Durchgang zum Klosterhof. Hier lässt sich die Türe allerdings nur schwer und nach innen öffnen. Assistenz- und Blindenführhunde sind erlaubt (Hunde allerdings nicht).


Der Audioguide ist mit Brailleschrift versehen und ermöglicht es, (fast alle) Objekte auditiv zu erkunden. Nach dem Besuch der Stiftsbibliothek geht es mit dem Lift in den Gewölbekeller. Dort zeigt ein Film unter anderem den eindrucksvollen Weg des irischen Wandermönchs Gallus nach St.Gallen und die Entstehung des heutigen Stiftsbezirks. Das Highlight der Ausstellung ist das 895 erschaffene Evangelium Longum. Die Tafel auf dem Vorderdeckel ist aus Elfenbein geschnitzt, ist das nicht der Wahnsinn?
Nach rund zwei Stunden in den alten Gemäuern brauche ich eine Stärkung. Dafür kann ich das Klosterbistro nur wärmstens empfehlen. Allerdings nur bei schönem Wetter – der Innenbereich ist für Gäste im Elektrorollstuhl noch nicht zugänglich.

Reise zurück in die Gegenwart

Nach einer hausgemachten Quiche geht es weiter in den Ausstellungssaal. Dieser befindet sich im Stiftsarchiv (im Klosterhof 1) und befasst sich mit der Überlieferung von Dokumenten und Urkunden der Abtei St.Gallen von den Jahren 720 bis 1805, als das Kloster aufgehoben wurde. Hier befindet sich auch das Original des berühmten Klosterplans aus der Stiftsbibliothek, der filmisch erklärt und für 20 Sekunden im Original gezeigt wird. Auch sollte man rund eine halbe bis eine Stunde für den Besuch einplanen, da man viele spannende Einblicke in das Leben im frühen Mittelalter erhält.

Zum Stiftsbezirk gehört auch die barocke Kathedrale mit ihren zwei Türmen, die ich als nächstes besichtigen möchte. Aber nun stehe ich am Westeingang leider vor verschlossenen Türen. Ich versuche sie zu öffnen, aber die schwere Tür rutscht mir immer wieder aus den Händen. Es hilft nichts: Ich brauche Hilfe. Zum Glück sind der Dom und die Klosterwiese davor gut besucht. Auch muss ich aufpassen, dass ich mit meinem Elektrorollstuhl nicht im schmalen Eingang hängen bleibe. Trotz dieser kleinen Hürde lohnt sich aber natürlich der Besuch der Kathedrale mit der gewaltigen Kuppel mit dem Himmel der Heiligen.

Nun habe ich aber genug Zeit in alten Mauern verbracht und suche noch etwas Abwechslung im Naherholungsgebiet der Drei Weieren. Mit der Mühleggbahn ganz in der Nähe fahre ich hinauf und dann mit 10 km/h, was mein Rollstuhl maximal schafft, weiter durch die Bitzistrasse bis zum legendären St.Galler Milchhüsli, wo es verschiedene Snacks und Getränke gibt. Mit einem Glacé in der Hand geniesse ich den Blick von oben auf den Stiftsbezirk und die Stadt St.Gallen. Schon beeindruckend, was aus der einstigen Einsiedlerzelle des Gallus’ geworden ist. Zurück fahre ich mit dem Bäderbus ab Haltestelle Dreilinden. Dieser verkehrt bei schönem Wetter von Mai bis Mitte September. Alternativ gibt es einen barrierefreien Parkplatz an der Dreilindenstrasse.

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